NY K11
Kapitel 11 Die Luft draußen beißt leicht in meine Haut. Feuchtigkeit liegt über den Straßen, als hätte die Nacht ihre letzten Tropfen hinterlassen. Ich ziehe den Reißverschluss meiner Jacke hoch und trete durch die Drehtür auf den Bürgersteig. Aus einem Deli an der Ecke strömt der Duft von Bagels und Kaffee, daneben schwebt Vanille aus einer Bäckerei herüber. Ein Bus fährt vorbei, Wasser spritzt auf den Bordstein. Mein Rucksack drückt auf die Schulter, das digitale Ticket leuchtet auf dem Display meines Handys, griffbereit in der Innentasche. Ein kurzer Blick auf Abflugzeit und Gate, eine Vibration, die ich ignoriere. Ich atme tief ein und folge den aufsteigenden Dampfwolken aus den Gullydeckeln. In der Ferne schimmert das Subway-Schild, das mich wie ein Magnet anzieht. Die Stadt ist schon wach. Lieferwagen parken doppelt, Arbeiter entladen Kisten, jemand ruft auf Spanisch, eine Antwort hallt aus einem geöffneten Fenster. Eine Katze huscht zwischen Müllsäcken hindurch. Der Geruch von gebratenem Speck mischt sich mit nassem Asphalt und dem Benzin einer nahen Tankstelle. Ich beschleunige meine Schritte, die Kälte kriecht in meine Finger, mein Atem bildet kleine Wolken. Eine Frau im Mantel zieht an mir vorbei, ihr Parfum bleibt wie ein schmaler Streifen in der Luft zurück. Ich stecke die Hände tiefer in die Taschen, biege um die Ecke und sehe die Stufen zur U-Bahn hinunterführen. Mit jedem Schritt verschwimmen die Straßengeräusche hinter mir. Die Treppenstufen glänzen feucht im Neonlicht. Unten riecht es nach Metall, Staub, altem Öl. Ein Saxophonspieler lässt seine Töne zwischen den Säulen schweben, sie verlieren sich im Windzug des nächsten Zugs. Eine Münze klirrt in seinem Koffer, er nickt dankend. Ich ziehe meine MetroCard durch, das Drehkreuz klackt. Der Boden klebt von verschüttetem Kaffee, Stimmen summen durcheinander. Mit jedem Meter auf dem Bahnsteig wird die Luft wärmer und dichter. Ich lehne mich an die Fliesenwand und lasse den Blick durch die Menge wandern. Menschen in Mänteln, Kaffeebecher in der Hand, Augen auf Bildschirmen. Eine Frau trägt eine Tasche mit Broadway-Logo, ein Junge schläft an der Schulter seiner Mutter, der Mund leicht geöffnet. Ein Obdachloser murmelt leise, hält einen Pappbecher mit Kleingeld. Das dumpfe Grollen der Räder kommt näher. Ein warmer Windstoß streift mein Gesicht, bevor sich die Türen des Zugs öffnen. Jemand rempelt mich leicht, entschuldigt sich hastig. Ich schiebe mich zwischen zwei Männer hindurch und steige ein. Drinnen riecht es nach nassem Stoff und Pappe. Die Sitze glänzen vom Abrieb der Mäntel. Ich setze mich ans Fenster, lege den Rucksack auf die Knie. Gegenüber liest ein Mann die New York Times, die Seiten zittern in seinen Händen. Ein Mädchen summt leise zu Musik aus ihren Kopfhörern, ihre Finger trommeln auf dem Oberschenkel. Alles ist in Bewegung, Stimmen, Atem, Stoff. Im Glas sehe ich mein Spiegelbild, dahinter Tunnelwände mit Graffiti und Lichtreflexen. Für einen Moment schließe ich die Augen, das Rattern der Schienen lullt mich ein, warm und rhythmisch. Die Haltestellenansagen reißen mich aus dem Fluss. Ich rücke auf der Sitzbank vor, ziehe die Jacke enger und spüre, wie die Fahrt ihrem Ende entgegengeht. Roosevelt Avenue, Sutphin Boulevard. Über den Köpfen leuchtet das Schild: AirTrain JFK. Ich stehe auf, greife nach der Haltestange, der Zug ruckt, die Türen öffnen sich. Menschen strömen hinaus, Rollkoffer rollen, Stimmen hallen. Ein Paar streitet leise über die Richtung, ein Kind im Wagen lacht. Ein Hauch kalten Regens zieht durch den Aufgang, als wir die Treppen hinaufsteigen. Ein letzter Blick zurück auf das Geländer, dann folge ich dem Strom hinaus. Die Luft wird klarer, die Geräusche verändern ihren Klang. Draußen ist es heller, der Himmel offen, Flugzeuge fliegen tief, ihre Flügel glänzen im Licht der Morgensonne. Der AirTrain wartet auf dem Hochgleis, die Scheiben spiegeln Himmel und Wolken. Ich steige ein, lehne den Kopf ans Glas. Unter mir gleiten Parkplätze, Straßen, Schilder mit Richtungspfeilen vorbei. In der Luft liegt Kerosin, vermischt mit dem süßen Duft von Donuts vom Bahnsteig. Ich atme tief ein, während sich das Band aus Schienen Richtung Terminal zieht. Neben mir scrollt eine Frau auf ihrem Handy, vergleicht offenbar ebenfalls ein digitales Ticket. Unsere Blicke treffen sich kurz, sie lächelt flüchtig. Ich streiche mit dem Daumen über mein Display, das Licht spiegelt sich in der Scheibe. Der Zug beschleunigt, das Gefühl von Aufbruch drängt in meine Brust. Die Stadt bleibt hinter mir, kleiner mit jedem Meter, doch etwas bleibt in mir, warm und schwer wie die Nacht, die gerade erst vergangen ist. Noch einmal sehe ich auf mein Handy, das Ticket leuchtet klar und ruhig, während draußen die Startbahnen näherkommen, wie ein Versprechen und ein Abschied zugleich.