NY K8

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Kapitel 8 Wir schlendern weiter durch die stillen Gassen. Das Kopfsteinpflaster glänzt im fahlen Laternenlicht, jeder Schritt klingt wie ein leiser Schlag auf nasses Glas. Die Stadt wirkt ausgedünnt, nur vereinzelt rauscht ein Auto vorbei, irgendwo fällt eine Tür ins Schloss. Der Geruch von nassem Asphalt mischt sich mit dem warmen Duft einer nahen Bäckerei, süß und schwer wie ein Versprechen. Die Kühle der Nacht liegt auf meinem Gesicht, mein Pullover wird am Rücken leicht feucht vom Nebel. Ihre Schritte hallen neben meinen, gleichmäßig, fast synchron. Manchmal schwappt Wasser in den Rinnen, wenn in der Ferne ein Auto vorbeizieht, dann kehrt wieder Stille ein. Der Wind trägt den Geruch von feuchtem Stein, metallisch und roh, durch die engen Häuserschluchten. Ich höre ihren ruhigen Atem und das leise Rascheln ihrer Jacke, wenn sich ihre Arme bewegen. Wir nähern uns einer Ecke, an der ein Schild schwach im Wind schwingt. Das Licht darüber wirft matte Kreise auf den Boden, und wir verlangsamen beide unbewusst den Schritt, als hätten wir denselben Gedanken. „Wie lange bleibst du eigentlich hier?“ fragt sie, während wir an einem geschlossenen Café vorbeigehen. Die Scheiben sind beschlagen, über dem Eingang schaukelt ein Schild im Wind. „Ich fliege morgen früh weiter“, sage ich und sehe kurz zu ihr. Ihr Blick ist im Halbdunkel schwer zu lesen, doch ich meine ein kaum wahrnehmbares Zucken um ihre Mundwinkel zu sehen. „Und du?“ „Ich bleibe noch ein paar Tage. Aber heute Nacht wollte ich noch ein bisschen draußen sein.“ Ich lächle. „Gute Entscheidung. Nachts zeigt die Stadt ein anderes Gesicht.“ Unsere Stimmen verhallen zwischen den Häusern. Die Luft wird dichter, kühler, während wir tiefer in die Stadt gehen, und wir finden instinktiv denselben Rhythmus. Wir biegen in eine breitere Straße. Schaufenster spiegeln uns, Neonröhren flackern dahinter, werfen kaltes Licht auf nasse Pflastersteine. Eine Leuchtreklame brummt leise, als kämpfe sie mit der Feuchtigkeit. In einer Ecke hängt der Geruch von frisch gebrühtem Kaffee, obwohl der Laden längst geschlossen ist. Leiser Jazz dringt aus einem geöffneten Fenster über uns, verschwimmt mit dem Grollen eines fernen Zuges. Ihre Finger streifen meinen Handrücken, kaum mehr als ein Hauch, als sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr schiebt. Wir überqueren eine kleine Kreuzung, an der eine Ampel auf Rot hängt, obwohl weit und breit kein Auto fährt. Unsere Schritte hallen gegen die Fassaden, wir richten uns wortlos auf den nächsten Block aus. Schweigend gehen wir weiter, hören das Tropfen von Dachrinnen, das Knacken von Holz in einem Baugerüst. Die Stadt scheint langsamer geworden zu sein, aufmerksamer. Ich sehe, wie ihre Schuhe das Wasser verdrängen, wie ihre Hand locker neben meiner schwingt, als hielte sie den Abstand absichtlich gering. Der Regen setzt plötzlich stärker ein. Dicke Tropfen prasseln auf unsere Schultern, das Geräusch ist wie tausend kleine Trommeln auf Metall. Die Straße glänzt schwarz, Pfützen spiegeln das grelle Neonlicht. Tessa greift nach meiner Hand, ihre Finger fest um meine, kühl und warm zugleich. „Komm!“ ruft sie und zieht mich mit sich. Wir stolpern fast über den Bordstein, als wir beschleunigen. Das Wasser spritzt gegen unsere Beine, und in der Eile verschwimmt die Stadt zu glitzernden Flecken aus Licht und Schatten. Wir rennen los, unsere Schritte platschen durch die Pfützen, der Wind treibt den Regen ins Gesicht. Mein Hemd klebt an der Haut, die Tropfen laufen kalt meinen Nacken hinab. Ihre Haare lösen sich aus dem Knoten, peitschen im Wind, fallen mir ins Gesicht. Der Duft von Shampoo und Haut vermischt sich mit der Nässe, süß und herb zugleich. Wir lachen, während wir laufen, atemlos und kindisch, und es klingt, als gehöre es zum Regen. Unter einer niedrigen Überdachung bleiben wir schließlich stehen. Ich atme schwer, mein Herz hämmert, und wir lachen weiter, bis es in der Brust warm prickelt. Ihre Hand liegt noch immer in meiner, fester jetzt, als wolle sie sie nicht mehr lösen. Das Wasser schießt aus den Dachrinnen, klatscht neben uns auf den Boden, ein gleichmäßiger, rauschender Vorhang. Einzelne Tropfen laufen über ihre Wangen, glänzend im Laternenlicht, nicht nur Regen, sondern auch Schweiß von unserem Sprint. Sie drückt meine Hand fester, schaut mich an, sagt leise: „Gut, dass wir gelaufen sind.“ Ihre Stimme ist warm und gedämpft, fast intim unter dem Prasseln. Wir verharren, hören das Echo des Regens, während unsere Körper allmählich zur Ruhe kommen. In der Ferne rollt ein Wagen vorbei, sein Licht spiegelt kurz in den Pfützen, dann wird es wieder dunkel. Ein Moment vergeht, in dem wir nur zuhören, dem Rhythmus des Regens und unserem Atem. Dann streicht sie sich eine Strähne aus dem Gesicht, ihre Finger zittern leicht, vielleicht vor Kälte, vielleicht vor etwas anderem. Ihre Schulter berührt meine, enger als nötig unter dem kleinen Schutz. Ich spüre die Wärme, die trotz der Nässe von ihr ausgeht, und mein Blick verharrt einen Augenblick zu lange auf ihren Lippen, bevor ich wieder hinaussehe. Wir warten, bis das Prasseln nachlässt, dann treten wir wieder hinaus. Der Regen ist schwächer, doch der Asphalt dampft noch, als würde die Straße selbst atmen. Der Geruch von Benzin und nassem Holz liegt in der Luft, scharf und süß zugleich. Unsere Schuhe quietschen bei jedem Schritt, jedes Geräusch hallt zwischen den Häusern nach. Langsam wird das Licht vor uns heller, einzelne Fenster werfen goldene Rechtecke auf den Boden. Wir folgen ihnen wie Wegmarken, ohne zu sprechen, unsere Hände noch immer verbunden. In einer Seitenstraße parkt ein einsamer Bus, sein Motor tickt nach, als sei er gerade erst zum Stillstand gekommen. Unsere Arme streifen einander immer wieder, erst zufällig, dann so oft, dass es nicht mehr wie Zufall wirkt. Ihr Daumen bewegt sich leicht, wie unbewusst, über meinen Handrücken, und ich lasse es geschehen, ohne etwas zu sagen. Noch ein paar Schritte, ein letzter Bogen um eine Straßenecke, und das Bild ändert sich: Die Dunkelheit weicht gedämpftem Licht, Stimmen, Wärme. Dann taucht ein ihr vertrautes Gebäude vor uns auf, hell erleuchtet im Regen. Die Fenster spiegeln das Wasser, das an der Fassade herabläuft. Tessa bleibt kurz stehen, sieht hoch, und in ihrem Gesicht liegt ein kaum hörbares Lächeln, als würde sie etwas nur für sich behalten. „Das ist es“, sagt sie schließlich. Sie öffnet die Tür zum Hotel, warmes Licht flutet uns entgegen, leise Stimmen aus der Lobby. Ich folge ihr hinein, schüttele den Regen aus meinen Haaren. Der Teppich unter meinen Füßen ist weich, die Luft gedämpft und voller Wärme, mit einem Hauch von Holzpolitur und Tee. Draußen läuft das Wasser noch immer von den Dachrinnen, doch drinnen scheint alles langsamer, leiser, beinahe wie eine andere Welt.

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