NY K10

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Kapitel 10 Graues Licht sickert durch den Spalt der Vorhänge und legt sich wie ein feiner Schleier über das Zimmer. Die Stehlampe ist erloschen, der Regen von gestern hat den Asphalt dunkel gefärbt. Straßenlärm mischt sich mit dem tiefen Brummen einer Klimaanlage draußen. Ein hupendes Taxi, eine ferne Sirene, das metallische Klirren einer Mülltonne – New York atmet schon wieder schneller, während hier drinnen noch Wärme und Ruhe hängen. Durch die undichten Fensterrahmen zieht der Geruch von nassem Asphalt, vermischt mit einer Spur Reinigungsmittel aus dem Flur. Es fühlt sich an, als läge die Stadt weit weg, hinter einer unsichtbaren Glaswand, während wir in einem kleinen, abgeschlossenen Raum aus Zeit und Nacht verharren. Tessa liegt halb auf mir, ihr Haar klebt an meiner Schulter. Ihr Atem streift meinen Hals, warm und gleichmäßig, und hinterlässt Gänsehaut. Meine Hand ruht auf ihrem Rücken, spürt jede Bewegung unter der Haut, das sanfte Dehnen beim Einatmen. Die Bettlaken sind verschoben, kühle Inseln zwischen unseren Körpern. Die Nacht war kurz, kaum Schlaf, nur das Rauschen des Regens und unsere Körper als Ruhepunkt. Noch immer riecht das Zimmer nach unserer Haut, nach Shampoo, nach dem Tee, den wir nachts aus Pappbechern getrunken haben. Ein Gedanke drängt sich leise dazwischen: Der Morgen lässt sich nicht aufhalten, egal wie fest wir uns aneinanderklammern. Ich drehe den Kopf, sehe durch den Fensterspalt ein Stück Himmel zwischen den Häusern. Erste Sonnenstrahlen glitzern in Tropfen, die an der Scheibe hängen geblieben sind. Ein leises Klopfen der Heizung, Kaffeeduft aus einem Zimmer weiter, Schritte auf dem Flur – die Stadt drängt herein, während wir noch liegen. In meinem Kopf summt der Flug, das frühe Aufstehen, das Packen, während mein Körper schwer von der Nacht ist. Meine Finger spielen mit einer Strähne ihres Haars, ich lausche dem Rhythmus der Sirene draußen. Ein feines Zittern läuft durch sie, vielleicht von der Kälte, vielleicht von dem, was zwischen uns in der Luft hängt. Tessa blinzelt, hebt den Kopf ein Stück, ihre Wange hinterlässt eine warme Spur auf meiner Haut. „Schon so hell“, murmelt sie, die Stimme heiser vom Schlaf. Ich nicke, streiche ihr Haar aus dem Gesicht. „Ich muss bald los zum Flughafen“, sage ich leise. Sie legt sich wieder hin, ihr Bein schiebt sich an meins, sucht Wärme. Ihre Haut ist kühl geworden, ich spüre ihr Zittern. Draußen rauscht ein Bus vorbei, Vibrationen laufen durch den Boden in unsere Matratze. Der Gedanke an das Aufstehen wird greifbar; ich fühle, wie der Moment sich löst, wie Nebel, der vom Boden steigt. Langsam löse ich mich aus der Bettdecke, setze die Füße auf den Teppich. Er fühlt sich kühl und leicht feucht an. Ich stehe einen Moment da, wippe auf den Zehen, atme tief ein, mein Blick wandert über verstreute Kleidungsstücke: ihre Jacke, meine Schuhe, das zerknitterte Ticket auf dem Schreibtisch. Die Luft im Zimmer ist noch schwer von Wärme und Nacht, doch draußen lockt schon der kalte Morgen. Tessa setzt sich auf, zieht die Decke enger um sich, ihr Haar fällt über die Schultern. Sie sagt nichts, sieht mir zu, wie ich das Hemd vom Stuhl nehme. „Noch fünf Minuten?“ fragt sie leise. Ich nicke, gehe ins Bad. Die Tür fällt leise ins Schloss, der Klang des Raums wird gedämpft, wie unter Wasser. Fliesen unter den Füßen, kaltes Metall an den Armaturen. Ich lasse Wasser über meinen Körper laufen, erst kühl, dann wärmer. Dampf zieht in die noch warme Luft, beschlägt den Spiegel. Tropfen laufen meinen Rücken hinab, mischen sich mit dem Geruch von Hotel-Seife. Ich schließe kurz die Augen, der Duschstrahl überlagert den Verkehr draußen. Als ich zurückkomme, sitzt Tessa am Bettrand, die Decke um die Schultern geschlungen, schaut aus dem Fenster auf das erwachende Manhattan. Sie dreht sich kurz zu mir um, ein Blick, der reicht, um die Stille zwischen uns zu füllen. Ich trockne mich ab, ziehe mich langsam an: Hemd, Gürtel, Schuhe. Tessa tritt einen Schritt näher, ihre nackten Füße auf dem Teppich, der Geruch ihrer Haut noch süß und warm. Ich bleibe einen Herzschlag zu lange so stehen, bevor ich mich zum Fenster drehe. Ich gehe zum Fenster, atme tief die kühle Luft ein, dann wende ich mich zu ihr. Sie steht neben dem Bett, die Decke locker um die Schultern geschlungen. Wir umarmen uns lange, ohne Worte. Ihr Kopf liegt an meiner Brust, meine Hände auf ihrem Rücken. Ihr Geruch, eine Mischung aus Haut und Nacht, bleibt an meinen Fingern, und in meinem Mundwinkel schmecke ich Salz von Schweiß und Regen. Der Moment zieht sich, wird dünn wie Papier; ich weiß, wenn ich ihn loslasse, reißt er und bleibt hinter mir. Ich zögere, sehe sie an. „Darf ich deine Nummer?“ frage ich. Sie lächelt sanft, schüttelt kaum merklich den Kopf. „Lieber nicht.“ Ihre Stimme bleibt weich, fast bedauernd, doch bestimmt. „Schon gut“, sage ich leise, lasse meine Hand an ihrem Arm hinabgleiten. Ich spüre, wie etwas zu Ende geht, ohne dass wir es aussprechen müssen. Noch ein Kuss, länger als nötig, dann löse ich mich, nehme meinen Rucksack. Sie zieht die Decke enger, sieht mir nach, während ich zur Tür gehe. Im Flur riecht es nach Reinigungsmittel, irgendwo schlägt eine Tür. Der Fahrstuhl spiegelt mein müdes Gesicht, den Tropfen Wasser am Haaransatz, während hinter mir das Zimmer zurückbleibt: warm, leise, mit ihrem Atem noch darin.

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